Am Dienstag, dem 27. September 2022, luden die Gleichstellungsstellen von Stadt und Landkreis Regensburg sowie das Universitätsklinikum Regensburg zur Hybridveranstaltung zum Thema geschlechterspezifische Medizin ein. Mit dem fachlichen Schwerpunkt Herzinfarkt und metabolisches Syndrom war der Abend für Ärzte, Pflegende, Studierende sowie für alle Interessierten konzipiert. Im Anschluss an die Vorträge wurden Fragen aus dem Publikum beantwortet.
Landrätin Tanja Schweiger und Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer begrüßten die mehr als 170 Teilnehmer, die sowohl vor Ort im Landratsamt Regensburg als auch online zugeschaltet waren. Dr. med. Regine Rapps-Engels begrüßte virtuell im Namen des Deutschen Ärztinnenbundes, der sich unter anderem für eine verstärkte Forschung zu den offenen Fragen der Gendermedizin einsetzt.
Landrätin Tanja Schweiger sieht trotz der gemachten Fortschritte Handlungsbedarf: „Die letzten Jahrzehnte waren im Bereich der Gleichstellung stark geprägt von einer rechtlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Heute steht die Diskussion über gendergerechte Sprache im Fokus. Dabei wird den körperlichen Unterschieden zwischen Mann und Frau und den sich daraus ableitenden Unterschieden viel zu wenig Bedeutung beigemessen. Unterschiedliche Krankheitssymptome, unterschiedliche Verträglichkeit von Medikamenten, eine Forschungslandschaft, die überwiegend an männlichen Personen forscht oder auch eine Technik, die zum Beispiel bei der Sicherheit im Auto von einem männlichen Dummy ausgeht, führen zu einer Benachteiligung von Frauen, die bisher viel zu wenig in den Blick genommen wird. Die große Resonanz heute bestätigt uns darin, dass dieses Thema sowohl in Fachkreisen als auch in der Gesellschaft relevant ist.“
Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer sieht viel Potenzial in der Veranstaltung: „Es ist lange überfällig, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Symptomen, Behandlungen sowie Medikationen ernsthaft und selbstverständlich mit in den Blick genommen werden. Denn eine stabile Gesundheitsversorgung kann uns nur gelingen, wenn wir den einzelnen Menschen im Fokus haben und geschlechtsspezifische und altersbedingte Unterschiede ernst nehmen. Dies muss aber auch heißen, dass jede und jeder eine passgenaue Diagnose und Behandlung erhält. Ich freue mich, dass das Thema in der Region Regensburg durch die Kooperation mit dem Universitätsklinikum nun aufgegriffen wird.“
Die vier Fachvorträge wurden von drei Regensburger Ärztinnen und Expertinnen in Präsenz gestaltet. Priv.-Doz. Dr. med. Ute Seeland, Fachärztin für Innere Medizin am Institut für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) der Charité – Universitätsmedizin Berlin, brachte dem Publikum die geschlechtersensible Medizin – auch als Gendermedizin bekannt – mit dem Fokus auf die Forschung näher.
„Differenzierte Betrachtungsweise kein Frauenthema“
Prof. Dr. med. Martina Müller-Schilling, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums Regensburg, stellte als Mitinitiatorin des Abends die Frage in den Raum, ob Menschen weiblichen, männlichen oder diversen Geschlechts anders krank sind. Die Expertin machte deutlich: „Gendermedizin bezeichnet Humanmedizin unter besonderer Beachtung nicht nur der sozialen und psychologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau und des dritten Geschlechts, sondern auch der unterschiedlichen Symptome, Ausprägungen und Therapieantworten von Krankheiten. Die Gendermedizin impliziert somit eine geschlechtsspezifische Erforschung und Behandlung von Krankheiten.“ Der Medizinerin war es dabei wichtig hervorzuheben, dass eine differenzierte, geschlechtsspezifische Betrachtungsweise kein „Frauenthema“ sei. Frauen und Männer sowie Menschen mit dem Geschlechtseintrag divers würden gleichermaßen von Gendermedizin profitieren. Im Namen des Organisationsteams machte sie als Zielsetzung des Abends deutlich: „Das Forschungsgebiet der Geschlechter- und Gendermedizin – auch Gender Medicine, Gender Specific Medicine oder Geschlechtsspezifische Medizin – ist in Deutschland noch jung. Es ist unser gemeinsames Anliegen, mit dieser Veranstaltung die Öffentlichkeit, Angehörige aller Gesundheitsberufe und ärztliche Kolleginnen und Kollegen für den Genderaspekt in der Medizin zu sensibilisieren.“
Forderung nach geschlechterspezifischer Forschung, Diagnostik und Therapie
Mit dem zweiten Fachbeitrag "Herzbube/Herzdame – wo sind die Unterschiede – geschlechterspezifische Aspekte beim Herzinfarkt" von Prof. Dr. med. Andrea Bäßler, Leiterin der Kardiologischen Ambulanz/ Lipidambulanz in der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikums Regensburg und Frauenbeauftragte der Fakultät für Medizin der Universität Regensburg, wurde ein gesellschaftlicher Widerspruch angesprochen. Prof. Dr. med. Bäßler betonte, dass gegenwärtig die individualisierte Medizin ganz groß geschrieben und damit geworben würde, dass es für jede einzelne Person ganz speziell zugeschnittene Diagnoseverfahren und Therapien gäbe, unter anderem auch basierend auf genetischen Risikomarkern. Auf der anderen Seite werde in vielen Bereichen der offensichtlichste und natürlichste Unterschied, nämlich der zwischen Mann und Frau, häufig nicht konsequent berücksichtigt oder gänzlich vernachlässigt. Dies könnte ungünstige Auswirkungen auf die Krankenversorgung aller haben, zum Beispiel lebensgefährliche Folgen beim Herzinfarkt und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Umso wichtiger ist die Forderung nach einer individualisierten, geschlechter- und genderspezifischen Forschung, Diagnostik und Therapie. Das ist unser Auftrag in der Gegenwart und für die Zukunft, damit jede einzelne Person zielgerichtet die individuelle evidenzbasierte Behandlung erhält, die ihr zusteht“, schloss die Ärztin ab.
„Frauen in wissenschaftlichen Studien deutlich unterrepräsentiert“
Den Schwerpunkt metabolisches Syndrom nahm die Oberärztin Dr. med. Melanie Kandulski, Leiterin der Endokrinologie, Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums Regensburg, mit dem dritten Beitrag des Abends in den Blick. Sie erklärte, dass es sich beim metabolischen Syndrom um eine Kombination aus gesteigerter abdomineller Fettverteilung, einer Fettstoffwechselstörung, erhöhten Nüchternblutzuckerwerten oder einem Diabetes mellitus Typ 2 und einer arteriellen Hypertonie handle. Das Vorliegen dieser Risikofaktoren steigere die Gefahr, an einem Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erkranken bzw. zu versterben. In wissenschaftlichen Studien der letzten Jahrzehnte waren Frauen, laut Kandulski, deutlich unterrepräsentiert, und die Behandlung der Risikofaktoren erfolgte geschlechtsunabhängig. „Erst seit wenigen Jahren ist bekannt, dass Frauen weltweit deutlich häufiger vom metabolischen Syndrom betroffen sind als Männer und häufiger als diese an dessen Folgen versterben“, hob die Medizinerin hervor. Die Expertin leitete eine klare Forderung ab: „Es ist an der Zeit, die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Diagnostik und Behandlung des metabolischen Syndroms zu berücksichtigen. Dabei muss auch ein besonderes Augenmerk auf die jeweiligen, den Metabolismus beeinflussenden Faktoren wie Schwangerschaft, Gestationsdiabetes, Stillzeit, polyzystisches Ovarialsyndrom, hormonelle Kontrazeption und Menopause gelegt werden.“
Digital zugeschaltet gab Dr. med. Ute Seeland (Charité – Universitätsmedizin Berlin) einen Überblick zum aktuellen Forschungsstand hinsichtlich genderspezifischer Medizin in Deutschland sowie weltweit. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die geschlechtersensible Prävention, Risikofaktoren, Alter, Schwangerschaft, mikrovaskuläre funktionelle Erkrankungen, Hypertonie und Herzinsuffizienz. Aufgrund ihres weiteren Schwerpunkts, der Lehrforschung, begleitet sie wissenschaftlich Modellstudiengänge, in denen Sex- und Genderaspekte in das reguläre Medizinstudium eingebunden werden.
Rücken die Gendermedizin in den Fokus (v.l.n.r.): Sylvia Siegler (Gleichstellungsbeauftragte Landratsamt Regensburg), Landrätin Tanja Schweiger, Prof. Dr. Martina Müller-Schilling (Direktorin der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I des UKR), Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer und Dr. Susanne Krüger (Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Regensburg).